Rumänienaktion 2003/2004

Vorbereitung: Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen

Der Schulleiter einer Schule im Bezirk Satu Mare, Rumänien, hat uns schon bei unseren ersten beiden Aktionen (September 2002 und Schulmöbel 2003) im Land unschätzbare Hilfe geleistet. Schnell entstand die Idee eines Gegenbesuchs hier bei uns in Dortmund. Der Bürgermeister der Kleinstadt, in der sich seine Schule befindet, wird als Zeichen der Dankbarkeit den Besuch begleiten.

Ein solcher Besuch bietet für alle Beteiligten viele Vorteile: Durch persönliche Gespräche in einem für uns bekannten Umfeld können wir den Kontakt zu "unseren" Empfängern intensivieren, ohne daß wir durch den "Touristenfaktor", den wir trotz aller Versuche bei unseren Reisen in die Länder Osteuropas nicht vollständig vermeiden können, und durch überflüssige Barrieren eingeschränkt werden.

Andererseits bietet der Besuch unseren Gästen die Möglichkeit, gewissermaßen "live vor Ort" unsere Arbeit kennenzulernen. Sie werden sehen, daß im Kontrast zu der in Rumänien manchmal anzutreffenden Meinung nicht tonnenweise "gute" Computer in Deutschland auf dem Müll landen, sondern daß ein großer Teil unserer Arbeit in der sorgfältigen Aufrüstung und Aquisition von Computern liegt, die nach den westeuropäischen Standards den Zenit ihres Einsatzes überschritten haben.

Wir möchten an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden: Diese Computer sind kein "Elektroschrott"! Im Gegenteil! Es ist uns durchaus mit vertretbarem Arbeitsaufwand möglich, diese in Deutschland als "wertlos" deklarierten Computer binnen weniger Stunden (um Schlagworte aus der in Deutschland vorherrschenden Diskussion zu benutzen) "internettauglich" und "zukunftssicher" (dies ist nur ein Synonym für "Innovationssicherheit") aufzurüsten und zu reparieren.

Neben dem gegenseitigen Kennenlernen und dem positiven Beitrag zur Völkerverständigung zwischen Rumänien und Deutschland hat dieser Besuch auf der "operativen" Seite unschätzbare Vorteile für uns: Getestete Komplettsysteme sind zur Zeit keine Mangelware, unser Vereinsheim platzt förmlich aus allen Nähten. Der Bedarf an Geräten in der Region Satu Mare ist weiterhin unverändert hoch. Leider erlaubt es unsere angespannte finanzielle Lage nicht, selbst einen Transport der Geräte durchzuführen. Die reinen Transportkosten belaufen sich auf ca. 2000 Euro, die wir nicht zur Verfügung haben.

Instandgesetzte Rechner warten auf den Transport.

Hier kommt das Engagement unserer rumänischen Gäste ins Spiel: Schnell war ein Spediteur aus der Region gefunden, der regelmäßig zwischen Rumänien und den Niederlanden pendelt und auf dem Rückweg Leerkapazitäten zur Verfügung stellen kann. So kann der Transport einfach und kostengünstig organisiert werden.

Mitte Januar 2004 sollte es soweit sein: Auf dem Hinweg wird der Spediteur unsere rumänischen Gäste mit nach Dortmund bringen. Danach verbringen wir ein Wochenende zusammen, und auf dem Rückweg reisen im Gepäck mindestens 50 Computer mit nach Rumänien, wo sie an verschiedene Schulen in der Region verteilt werden.

Leider wurden kurzfristig die rumänischen Importbestimmungen geändert, so daß es unseren Gästen nicht möglich war, ohne vorherige Genehmigung die Geräte zollfrei einzuführen. Dies konnte jedoch mittlerweile auf der rumänischen Seite geklärt werden, so daß nun das letzte Wochenende im Februar als Termin geplant ist.

Umsetzung des Projekts im Februar 2004

Am Donnerstag, dem 27. 2. gegen 20 Uhr läutet bei Andreas das Telefon. Der schon vor Wochen angekündigte Besuch aus Orage Nou, Siebenbürgen, meldet sich nach rd. 36 Stunden Reise vom Platz vor dem Dortmunder Hauptbahnhof. Den Kleinbus der Spedition Kovacs mit unserem Freund, dem Schulleiter Janos Lökös und seinem Begleiter Sandor, dem stellvertreten Bürgermeister der früher ungarisch, heute rumänischen Stadt, holt unser gebürtige Ungar Andreas Szekely mit dem PKW ab und geleitet sie zu unserem Vereinsheim am Westfalendamm.

Schulkinder in Orasu Nou.

Alle Angekommenen werden von unserem Begrüßungskomitee in Empfang genommen. Ein Imbiß sowie Kaffee und Tee werden gereicht. Aktuelles zum anstehenden Transport wird ausgetauscht und neben dem mitgebrachten Palinka- Schnaps manch Anderes.

Der Bus mit den beiden Fahrern bricht noch in der Nacht auf. Janos, der diese Transportmöglichkeit aufgetan und schon mehrere unserer Lieferungen auf der rumänischen Seite abgewickelt hat, bekommt mit Sandor auf unseren Sofas Schlafmöglichkeiten angeboten und wir verabreden uns für den nächsten Morgen zum Frühstück an gleicher Stelle. Im Verlauf des Freitags wird der Bus leer zurückerwartet, um mit seinem Anhänger gut eine Tonne PC- Material zu laden.

Freitag früh zwischen acht und neun bewirten wir unsere beiden Gäste und begleiten sie zu ihrer Unterkunft für die folgende Nacht, der Kommende in Brackel, wo wir wohl mit Gottes Hilfe äußerst günstige Bedingungen vorfinden. Zu den Zimmern 240 und 241 bekommen wir die Schlüssel, denn heute wird noch eine mitarbeitende rumänische Studentin namens Kristina aus Münster eintreffen und hier übernachten. Sie wird nach ihrem Auslandsaufenthalt den Transport in ihre Heimatstadt nutzen.

Auf gehts zur Besichtigung Dortmunds: Kurz nach 11 beginnt unsere Führung durch das Rathaus am Friedensplatz. Während einer Stunde bringt uns eine freundliche Dame, die Andreas immer Zeit zum übersetzen gibt, verschiedenste Sehenswürdigkeiten näher: Die großzügige Empfangs-halle mit der gläsernen Kuppel, Rats- und Versammlungssäle in der ersten Etage, das Büro des Oberbürgermeisters, mehrere Räume für standesamtliche Trauungen, hinter Glas Schmuckstücke und Schenkungen auch als Zeugnis für zahlreiche Städtepartnerschaften Dortmunds sowie als Abschluß ein Streifzug über das verschneite Flachdach mit Aussichten über die Giebel des Stadtkerns. Wir verlassen das Rathaus nach einem kurzen Besuch des Restaurants im Erdgeschoß.

Dominik erwartet uns gegen 13 Uhr auf der fünften Etage des Mathe-Towers der Universität, wo vor wenigen Jahren die Idee für unsere Computeraktionen geboren und der erste Transport nach Hedyfalu in Ungarn vorbereitet wurde. Er führt unsere Gäste über das Gelände der Hochschule. Zum Mittagessen suchen wir die Mensa auf. Während dieser Zeit hole ich Kristina mit ihrem vielen Gepäck - sie verläßt Deutschland - vom Hauptbahnhof ab. Für die Dagebliebenen verschafft die Rundfahrt mit der H-Bahn einen weitreichenden überblick. Dominik verabschiedet uns und geht an seine Arbeit zurück.

Ich fahre Janos, Kristina, Sandor und Andreas in die Strobelallee, wo Fotos gemacht werden vom Trainingsplatz der Borussia - kreuzt da nicht gerade einer der Spieler im Trikot den Weg? - , vom Westfalenstadion und dem nicht verschlossenen Stadion Rote Erde, denn Kristina mit ihrer neuen Spiegelreflexkamera hat einem Freund entsprechende Bilder versprechen müssen. Weiter gehts zum Eingang Kaiserhain des Westfalenparks, wo wir beim Pförtner die Auffahrt auf den Fernsehturm lösen. Nach kurzem Warten bringt uns der Aufzug flugs auf die Aussichtsplattform in etwa 150 m Höhe. Trotz tiefhängender Wolken sehen wir alles: Schnee im Sauerland, Kirchen am Hellweg, Kraftwerke im Lippetal, das Rest-U der Unionbrauerei, den Buschmühlenteich und weitere Einzelheiten der Bundesgartenschau von 1959 ("Westfalenpark"), die Hoeschgelände in Hörde, natürlich die Kirchen und andere Gebäude in der Stadtmitte und unser Vereinsheim am Westfalendamm. Aber Kristina, Sandor und ich frieren wie die Schneider im eisigen Wind, so daß wir bald den anderen ins Turmrestaurant folgen. Ein Wasser, ein Espresso, ein Milchkaffee "erwärmen" uns während einer Stunde Rotation, bei der die Sehenswürdigkeiten Dortmunds unter angenehmeren Bedingungen an uns vorübergleiten. Ein Schneeschauer nimmt uns halbstundenweise die Sicht, aber vor unserem Abstieg klart es halbwegs wieder auf.

Unsere Rumänen wollen Preise vergleichen und nicht nur das: Die Weiblichkeit in der Heimat erwarte traditionsgemäß zum ersten März ein Geschenk von den Männern.

Der zwischenzeitliche, heftige Schneefall macht unsere Rückkehr ins Vereinsheim nicht sonderlich schwierig und so kommen wir - fast pünktlich - zu unserem abendlichen Treffen. Die ganze Mannschaft ist versammelt, auch das Speditionsduo ist aus Brüssel zurück. Daniel wirft den Wok an und kocht für jeden Gang zweimal, denn unsere Truppe zählt gut ein Dutzend Leute. Der Gesprächsthemen sind viele, Palinka-Schnaps kreist, das Essen zieht sich über Stunden bis Andreas nach 24 Uhr Kristina, Janos und Sandor zu ihrem Nachtquartier in der Kommende-Brackel kutschiert. Die beiden Vertreter der Kovacs-Spedition übernachten auf Sofas in unseren Räumen.

Samstagmorgen treffe ich unsere drei rumänischen Gäste zum Frühstück in der Kommende. Sie haben ihre Zimmer geräumt und ihr Gepäck mit herunter gebracht, so daß wir ohne Verzug zum Westfalendamm aufbrechen können. Hier schlägt die Logistik Purzelbäume: Für diesen Transport vorgesehene Rechner, Monitore und Drucker sowie Zusatzmaterial wie Tastaturen, Mäuse und div. Kabel werden endgültig in Listen erfasst und entsprechende Lade- papiere in mehrfacher Ausfertigung gedruckt. Bis 12 Uhr 30 werden 52 PCs, 40 Bildschirme und 37 Drucker mit allem Zubehör in Bus und Anhänger geladen.

Von den Fahrern des Transports wissen wir, daß trotz kürzlich erfolgter Reparatur schon auf der Herreise drei Längsblattfedern der Hinterachse gebrochen sind. Mit einer Notoperation - ein mit Draht auf der Starrachse befestigter Holzklotz soll den Abstand zur Karosserie sicherstellen - wollen die Rumänen die Schwierigkeit beheben. Uns schaudert bei dem Gedanken: Immerhin sind fünf Menschenleben im Spiel. Gegen 15 Uhr starten unsere Gäste (sicher überladen) gen Osten.

Sonntag gegen 21 Uhr sind, laut telefonischer Nachricht; unsere Freunde wohlbehalten in Orasu Nou, Rumänien angekommen. Während sechs Stunden Wartezeit vor dem rumänischen Zoll haben sie trotz Sondergenehmigung alle Papiere und auch unsere Ladelisten umschreiben müssen.

Letztlich bleibt festzuhalten, daß wieder einmal eine unserer Lieferungen ihr Ziel erreicht hat. (Man möchte fast sagen: wider Erwarten.) und die außergewöhnliche Einsatzbereitschaft unseres Freundes Janos Lökös sowie unsere Arbeit haben sich auf wunderbare Weise ausgezahlt.

von Daniel Donner und Dominik Göddeke